Letzte Etappe im Mittelmeer
Immer näher kommt uns der Atlantik. Nach einer Woche Hafen in Cartagena freuen wir uns aufs Meer, auf keinen Internetempfang, Wellen und Horizont. Wir machen uns auf den Weg nach Gibraltar. Dem letzten Stopp im Mittelmeer und schliessen damit unsere erste Etappe ab.
Auf dem Weg nach Gibraltar fängt Solea den ersten Fisch. Während unter Deck noch geschlafen wird, herrscht plötzlich Aufregung. Ein Fisch hängt an der Angel. Ihn aufs Boot zu holen, ist gar nicht so einfach. Aber irgendwann ziehen Theo, Dshamiljo und Jakob ihn hoch, betäuben und töten ihn. Als ein verschlafener Kopf zur Luke herausschaut, wird gleich vor Blut und dem Fisch gewarnt. Wir identifizieren den Fang als Mahi Mahi und geben die freudige Neuigkeit über Funk der Planado weiter: "Planado Planado, this is FISHING vessel Solea...". Vor allem Nici kann kaum glauben, was er hört. Genau so einen Fisch hatte er sich für diese Reise erhofft: einen Mahi Mahi, eine Goldmakrele.
Wir nehmen den Fisch aus, studieren ihn ganz gut und segeln am Abend als Zwischenstopp in eine kleine Bucht, Playa des los Genoves. Dort gibt es bei Kerzenschein den Fisch mit Salzkartoffeln und Ofengemüse. Nach einem Segeltag und viel Sonne nun so zu dinieren, macht ganz dankbar.
Das Fischen regt natürlich auch zum Diskutieren an. Nicht alle probieren und essen den Fisch. Im Gespräch hinterfragen wir unseren Fleisch- und Fischkonsum. Zu einem Fazit kommen wir nicht, müssen wir auch nicht, aber wir bleiben im Diskurs und reden immer wieder über dieses Thema.
Wir verbringen einen Ruhetag in der Bucht. Beim Zmorgen bleiben wir so lange sitzen, bis es wieder Zmittag gibt. Am Nachmittag verteilen sich alle ein bisschen. Nici und Flo kiten. Viele gehen an Land spazieren, sogar bis ins nächste Dörfchen. Léonie und Celina machen Yoga und singen, von der Ukulele begleitet, ein paar Lieder.
Am zweiten Morgen starten wir den Tag mit einer Piratengeburtstagsparty für Noah. Zum Soundtrack von Fluch der Karibik fährt Noah mit dem Dinghi zur Solea und wird dort von 11 Pirat*innen begrüsst und gefeiert. Und nach einem weiteren Tag in der Bucht, nach ein paar Besprechungen zu Organisatorischem und auch der ersten Diskussion über eine neue Crewaufteilung, segeln wir in der Nacht weiter auf unserem Weg nach Gibraltar.
In der Strasse zwischen Europa und Afrika wimmelt es von Delfinen und auch vielen Schiffen, es ist richtig Verkehr. Der Anblick von Afrika, einem neuen Kontinent, ist eindrücklich. Wir sind mittlerweile ganz nah und auch auf dem Weg von vielen Flüchtenden, das beschäftigt uns. Wir sind daran gewöhnt, von Krisen in den Nachrichten zu hören, es ist irgendwie Alltag, über alles Schlimme auf der Welt informiert zu sein, und doch ist alles so fern. Wenn man sich nun geografisch einem Krisengebiet, dem Mittelmeer, nähert, dann kommen die Themen auch in Gedanken und Gesprächen wieder näher.
Wir hören über Funk, dass ein Boot gesucht wird und dass man sich melden soll, wenn man es sieht. Und wir sehen am Strand, wie ein Boot mit Flüchtenden Personen ankommt. Wohl nicht dasselbe, denn es gibt viele.
Es ist ein Moment, der bleibt und beschäftigt, der uns unsere eigene Rolle und Privilegien in dieser Welt leise vor Augen führt und Fragen aufwirft.
Um 19 Uhr, nach 865 Seemeilen im Mittelmeer und 43 Stunden seit dem letzten Mal Boden unter den Füssen, ist die erste Etappe geschafft. Wir kommen in Gibraltar an – fast. Genau genommen erreichen wir die Bucht von Algeciras. Denn der Ort, den wir Gibraltar nennen, heisst eigentlich La Línea de la Concepción und gehört zum spanischen Teil. Einmal durch die Grenzkontrolle und über ein Flugfeld spaziert, kommt man dann nach Gibraltar, das britisch ist.
In Städten locken die Bäckereien und die Cafés. Wir frühstücken wie die König*innen mit Brot und Eiern, Früchten, Gipfeli und Süssgebäck. Die nächsten vier Tage verbringen wir im Hin und Her zwischen Grossbritannien und Spanien, zwischen unseren Schiffen und der Stadt, zwischen Ausruhen und Vorbereiten.
Neben dem Hin und Her zügeln wir das erste Mal. Wir wollen immer wieder die Crew durchmischen, damit sich nicht zwei Gruppen bilden, damit alle mit allen segeln können und damit man mit allen Zeit verbringen kann. Vom Zügeln und Putzen und Räumen geht's auch noch einkaufen. Das geht so lange, dass es beim Verlassen des Ladens schon dunkel ist. Und dann geht es auch schon weiter.
Am 27. November verlassen wir endgültig das Mittelmeer und beginnen unsere Reise über den Atlantik.